Völkerstrafrecht
Die Bundesanwaltschaft widmet sich seit langem konsequent der strafrechtlichen Ahndung von Völkerrechtsverbrechen. Frühere Ermittlungen betrafen insbesondere Taten, die im Zusammenhang mit den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien und dem Völkermord in Ruanda in den 90er Jahren begangen wurden. Rechtsgrundlage für diese Verfahren war unter anderem § 220a StGB a.F., der das Verbrechen des Völkermords unter Strafe stellte.
Am 30. Juni 2002 ist das Völkerstrafgesetzbuch in Kraft getreten. Damit hat der Gesetzgeber die deutsche Rechtslage den Vorgaben im „Römischen Statut“ für den Internationalen Strafgerichtshof angepasst. Das Völkerstrafgesetzbuch enthält Tatbestände für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Es gilt für solche Taten, sofern sie nach dem 30. Juni 2002 begangen wurden, unabhängig vom Tatort oder der Staatsangehörigkeit von Tätern und Opfern. Auch das sogenannte Verbrechen der Aggression, also die Planung oder Führung eines offenkundig völkerrechtswidrigen Angriffskrieges, ist im Völkerstrafgesetzbuch unter Strafe gestellt.
Die Bundesanwaltschaft ermittelt zu Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch insbesondere dann, wenn es einen Bezug zu Deutschland gibt. Neben der Verfolgung von Beschuldigten im Inland geht es dabei auch um die Sicherung von Beweisen oder die Vernehmung von Opfern. In geeigneten Fällen werden sogenannte „Strukturermittlungsverfahren“ geführt, um Zusammenhänge von Straftaten zu beleuchten und Verfahren gegen individuelle Beschuldigte vorzubereiten.
Die erste Anklage wegen Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch erhob die Bundesanwaltschaft im Jahr 2011. Angeklagt waren der Anführer einer ruandischen Rebellengruppierung und einer seiner Stellvertreter wegen Kriegsverbrechen und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Dem Hauptangeklagten wurde zur Last gelegt, von Deutschland aus die Ermordung von Zivilisten in vier kongolesischen Dörfern unterstützt zu haben. Zu einer rechtskräftigen Verurteilung kam es nicht, weil er vor dem Abschluss des Verfahrens verstarb. Sein Stellvertreter wurde zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Seitdem hat die Bundesanwaltschaft zahlreiche Verfahren wegen Völkerrechtsverbrechen, etwa in Afghanistan, Gambia, Syrien und im Irak geführt. Besonders umfangreich waren und bleiben Ermittlungen zu Vorgängen in Syrien und im Irak. Sie beziehen sich sowohl auf Verbrechen der syrischen Regierung unter Bashar Al-Assad von 2011 bis 2024 als auch auf Straftaten des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) und anderer terroristischer Gruppierungen in Syrien und im Irak.
Aufgrund einer Anklage der Bundesanwaltschaft verurteilte das Oberlandesgericht Koblenz 2021 und 2022 zwei ehemalige Mitarbeiter eines syrischen Geheimdienstes wegen Folterungen von verhafteten Demonstranten in Damaskus zu langjährigen Freiheitsstrafen. In den mittlerweile rechtskräftigen Urteilen hielt das Oberlandesgericht – weltweit erstmalig – fest, dass die Taten Teil eines von der syrischen Regierung orchestrierten brutalen Vorgehens gegen die eigene Zivilbevölkerung waren und es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelte. Dafür waren insbesondere die sogenannten Caesar-Dateien von Bedeutung, die der Bundesanwaltschaft seit 2016 vorliegen. Diese Dateien enthalten rund 28.000 Fotos, auf denen Leichen aus verschiedenen syrischen Gefängnissen mit massiven Folterspuren abgebildet sind. Die Aufnahmen wurden von einem unter dem Decknamen „Caesar“ bekannten Fotografen der syrischen Militärpolizei und seinen Kollegen angefertigt und unter Lebensgefahr aus Syrien geschmuggelt.
Ebenfalls weltweit erstmalig hat die Bundesanwaltschaft erreicht, dass ein Gericht den Angriff des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS) auf die religiöse Gruppe der Jesiden im Irak als Völkermord einstuft. Im November 2021 verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main einen irakischen Staatsangehörigen, der sich vor Ort dem IS angeschlossen hatte, wegen Völkermords. Er hatte ein fünfjähriges jesidisches Mädchen und seine Mutter als Sklavinnen gehalten. Das Kind wurde in der Gefangenschaft so schwer misshandelt, dass es verstarb. Das Urteil ist rechtskräftig.
Auch die Frage einer materiellen Immunität von Staatsbediensteten bei der Begehung von Völkerrechtsverbrechen hat die deutsche Justiz eindeutig beantwortet. In einem ausführlich begründeten Urteil von Januar 2021 teilte der Bundesgerichtshof die Auffassung der Bundesanwaltschaft, dass sich ein ausländischer Täter vor deutschen Gerichten nicht darauf berufen kann, er habe lediglich im Auftrag seines Staates gehandelt.
Im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Bundesanwaltschaft ein Strukturermittlungsverfahren eingeleitet. Dieses richtet sich gegen unbekannte Täter von möglichen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Rahmen des Konflikts.
Mit der Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch trägt die Bundesanwaltschaft im Sinne des „Römischen Statuts“ dazu bei, diese schwersten Straftaten nicht unbestraft zu lassen.